Eindrücke aus der Landeskirche Sachsens

 

 

„Arbeit von Frauen - wertgeschätzt und fair bezahlt?“

FAZIT:
Die Vernetzung von Einzelkämpferinnen ist dringend geboten.
Es gilt Mädchen zu stärken, ihre Gaben zu nutzen, ebenso Rollenbilder von Jungen zu erweitern.
Die rechtliche Bildung von Mädchen und Frauen ist nötig, nicht alle kennen ihre Rechte.
Trotz guter und auch besserer Ausbildung finden sich Frauen in schlechter bezahlten Berufen. Das ist eine strukturelle Ungleichheit. Ein starker Sozialstaat setzt sich für die Bezahlung sozialer Berufe ein und hält den Rücken frei, sich für solche Berufe zu entscheiden.
Familienarbeit ist keine „Frauensache“ und keine Frauenkompetenz, sie geht die Männer genauso an. Deshalb:
„Augen auf bei der Partnerwahl!“. Es werden emanzipierte Männer gesucht. Ihre berufliche Entwicklung sollten Frauen nicht schleifen lassen.
Frauenarbeit in Teilzeit, besonders ohne Tarif, führt zu Altersarmut.
Bezahlung darf kein Tabuthema sein, auch nicht in der Kirche.

„Arbeit von Frauen - wertgeschätzt und fair bezahlt?“

Unter dieser Fragestellung startete die Pilgerinititative in Annaberg-Buchholz am 21. Mai 2022 in der St. Annenkirche mit einem Grußwort von Superintendent Dr. Olaf Richter und einer Andacht von Luise Müller, Referentin der Kirchlichen Frauenarbeit. Kathrin Wallrabe, Gleichstellungsbeauftragte (GSB) und Mitglied der bundesweiten Projektgruppe, erläuterte die Zielstellung des Projekts „go for gender juctice“.   Es soll den Blick weiten für Geschlechtergerechtigkeit und konkrete Begegnungen ermöglichen. Die Erkenntnisse sollen gesammelt und bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen eingebracht werden.  Der Platz war gut gewählt, denn die Namensgeberin der Kirche, die heilige Anna, gilt als Schutzpatronin in Geldnot. Annaberg kam durch den Silberbergbau zu Reichtum. So sind auch viele Kunstschätze in der Kirche zu finden, u.a. der Annaberger Marienaltar von 1521. Auf Rückseite des Altars schuf der Maler Hans Hesse Bilder vom Silberfund, es ist auch eine Frau bei der Silberwäsche zu sehen.

Auf dem Turm der Kirche konnte die Pilgergruppe einen Impuls zum Thema „Situation in Pflegeberufen“ durch Frau Carola Lorenz, Leiterin der ambulanten und stationären Pflege, hören. Sie ist Chefin von 400 Angestellten, 40 Prozent der Belegschaft ist über 40 Jahre, es wird im Drei-Schicht-System gearbeitet. 90 Prozent arbeiten in Teilzeit – und - keine Überraschung: Der Frauenanteil beträgt 83 Prozent. Seit Januar 2022 erhalten die Beschäftigten durch das Tarifanschlussgesetz mehr Geld, allerdings führt dies wieder zu Kostensteigerungen bei den Kunden. „Wo fängt Gerechtigkeit an - wo hört sie auf?“ In den 50-ziger Jahren war eine der Pflegeeinrichtungen ein Feierabendheim und erhielt den prominenten Namen von Luise-Otto-Peters, der Mitbegründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins und Publizistin der Frauen-Zeitung „Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen!“. In ihrem Gedenken finden auch heute noch Vorträge und Veranstaltungen statt, denn Frau Lorenz ist auch Mitglied im Luise-Otto-Peters Verein. Ursula Mornhinweg, GSB der Stadt Annaberg-Buchholz, erinnerte an die Arbeit von Frauen im Bordell der Stadt, das zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs florierte.

Wieder am Fuß der Kirche angelangt, konnte Kristin Baden-Walther, Leiterin des Kulturzentrums Erzhammer, etwas über die Textilindustrie und die verheerenden Folgen der Arbeitslosigkeit nach der Wende erläutern.  Arbeitslosigkeit führt zur Armut im Alter. Gerade Frauen waren in der Textilindustrie tätig – sie erhalten Mindestrente.

Anschließend besuchte die Pilgergruppe den Buchladen von Almut Nitzsche. Sie übernahm das Geschäft 2019, kurz vor der Coronapandemie. Es kamen kaum noch Touristen. „Uns hielt nur noch der Trotz am Leben.“ Mit Unterstützung ihres Mannes überlebte das Geschäft und hält ein wunderbar individuelles Angebot an Literatur vor.

Der Dächerspaziergang mit Dachdeckermeisterin Michaela Wolf führte uns durch Annaberg, wo die Gruppe etwas über altdeutsche Deckung mit Schiefer, Transportwege und das Leben als Handwerksmeisterin und Familienfrau erfuhr. In der Firma von Frau Wolf konnten wir auf dem Dach über ihre Zuversicht beim Leben im Einklang mit Gott erfahren. Sie nimmt ihre Entscheidungen ins Gebet, ganz wörtlich und schafft sich dadurch Sicherheit, auch bei schwierigen Entscheidungen. Sie arbeitet in der 9. Generation, aber als erste Frau als Chefin im Familienbetrieb und kann gerade in dieser Rolle gut Familie und Beruf vereinbaren.

Im Blumenladen von Patrica Gärtner erfuhr die Gruppe etwas über die Arbeitsbedingen und den Zusammenhalt im Blumenmarkt. Der Start im Großhandel ist spätesten 5 Uhr morgens. Ohne ihren Mann könnte sie mit diesen Arbeitszeiten das Geschäft nicht führen. „Wenn es nach drei Jahren nichts bringt, dann müssen wir neu überlegen“. Die drei Jahre sind vergangen und das Geschäft läuft, auch durch die familiäre Unterstützung.

Auf dem Markt empfing uns Annette Preissler in Gestalt von Barbara Uthmann, die vor 500 Jahren in Annaberg als Montanunternehmerin lebte. Als ihr Mann 1551 starb, hinterließ er ihr mehrere Berg- und Schmelzwerke sowie zahlreiche Bergbaurechte. Sie beschäftigte bis zu 900 Klöpplerinnen, denen sie das Material lieferte und die in Heimarbeit gefertigten Waren abkaufte. In Annaberg gibt es noch heute Nachkommen ihrer 12 Kinder.

Der Abschluss der Pilgeretappe fand im Erzhammer statt.

Kathrin Wallrabe, Gleichstellungsbeauftragte der Ev.-Luth- Landeskirche Sachsens, berichtete über die unterschiedliche Beteiligung von Frauen und Männern in kirchlichen Berufen. Im Pfarrdienst arbeiten 28 % Frauen, in der Kirchenmusik sind ähnlich viele Frauen wie Männer zu finden, nur arbeiten 96 % der Frauen in Teilzeit. In der Gemeindepädagogik sind 70 % Frauen beschäftigt, davon arbeiten 81 % in Teilzeit. Auffällig ist, dass Frauen trotz guter Ausbildung in Teilzeit arbeiten. Die Eingruppierung richtet sich auch nach dem Stundenvolumen, da in Haupt- und Nebenamt unterschieden wird. Im Nebenamt werden die Beschäftigten niedriger eingruppiert, unabhängig von der Ausbildung. In der Verwaltung arbeiten 84 % Frauen, davon 91 % in Teilzeit.

Dr. Anja Richter, Schulleiterin der Freien Schulen Annaberg - Berufsfachschule und Fachschule für Sozialwesen und Pflege, befragt die Bewerberinnen und Bewerber nach den Gründen ihrer Berufswahl. Oftmals steht die Sinnfrage im Mittelpunkt- „etwas mit Menschen machen“. Gerade im Erzgebirge gibt es die Osttradition, dass Frauen immer im Erwerbsleben standen und so auch Vorbilder ihrer Kinder sind. Auch die Frage der Sesshaftigkeit ist ein Thema. Erzieher in Rübenau zu sein, ist eine Perspektive, die trägt. Aktuell gibt es 20 % Männer in der Ausbildung für Erziehungsberufe.

Dr. Heide Becherer vom Deutschen Gewerkschaftsbund berichtete über ihre Erlebnisse 1997 nach dem Einbruch in der Textilindustrie und den dann folgenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), die die extreme Arbeitslosigkeit abmildern sollten. Heute beträgt die Arbeitslosigkeit im Erzgebirge 4,1 %, nur 15-20 % der Menschen arbeiten tarifgebunden. In Sachsen beträgt das Bruttogehalt im Monat 2695 € im Erzgebirge 2350 €. 40 % der Frauen arbeiten im Niedriglohn. Die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern sind gering, nur 60 € im Verhältnis zum Lohnunterschied im Bundesdurchschnitt, der 443 € beträgt. Allerdings ist dies kein Grund zum Feiern, denn es zeigt, wie niedrig die Löhne allgemein sind.

Karin Luttmann, Leiterin des Genderkompetenzzentrums Sachsens, moderierte die Abschlussrunde.

Es gab noch viel Gesprächsbedarf und eine Einladung zum sächsischen Zukunftstag „Ein gutes Leben für ALLE - Warum es eine nachhaltige Gleichstellungsstrategie und feministische Ökonomie in Sachsen braucht https://www.alter-gasometer.de/veranstaltung/zukunftstag-2022-ein-gutes-leben-fuer-alle/.

Kathrin Wallrabe in der St. Annenkirche

Kathrin Wallrabe in der St. Annenkirche

Carola und Michaela Wolf auf dem Turm von St. Annen

Carola Lorenz und Michaela Wolf auf dem Turm von St. Annen

Bei der Dachdeckermeisterin Michaela Wolf auf dem Dach

Bei der Dachdeckermeisterin Michaela Wolf auf dem Dach

In der Werkstatt von Dachdeckermeisterin Michaela Wolf

In der Werkstatt von Dachdeckermeisterin Michaela Wolf

Michaela Wolf und Ursula Mornhinweg

Michaela Wolf (links) und Ursula Mornhinweg

Annaberg von oben

Annaberg von oben

Blumenhandel, Patricia Gärtner

Blumenhandel, Patricia Gärtner

Blumengeschäft Gärtner mit Pilgergruppe

Im Blumengeschäft von Patricia Gärtner

Annette Preissler in Gestalt von Barbara Uthmann

Annette Preißler in Gestalt von Barbara Uthmann

Podiumsdiskussion, vierte von links: Dr. Becherer und dann von links nach rechts, Frau Baldermann

Podiumsdiskussion, u.a. mit Frau Dr. Becherer und Frau Baldermann

Abschlussrunde im Kulturzentrum Erzhammer

Abschlussrunde im Kulturzentrum Erzhammer

Gruppenfoto

Gruppenfoto, von links nach rechts: Ursula Mornhinweg GSB Annaberg-Buchholz, Tina Lämmel GSB Landkreis Erzgebirgskreis, Kathrin Wallrabe GSB EVLKS, Dr. Heidi Becherer DGB, Karin Luttmann, Genderkompetenzzentrum Sachsen